Unsere Vorfahren verwendeten beträchtliche Zeit und Mühe mit ihren Höhlenmalereien. Dabei krochen sie überrascht oft selbst in enge, stockfinstere Gänge und Kammern, um dort ihre Tierfiguren und Handabdrücke zu hinterlassen. Aber warum? Waren diese Bilder einfach nur ein kreatives Abbild ihrer Alltagserfahrungen – der Jagd oder der wilden Tiere in ihrer Umgebung? Oder hatten diese Felsmalereien eine tiefere rituelle, vielleicht sogar abstrakte Bedeutung?

Die Antwort auf diese Fragen ist bisher offen – und umstritten. Klar scheint nur, dass die Fähigkeit und der Wille, sich in Form von Kunst auszudrücken, einen wichtigen Meilenstein in der geistigen und kulturellen Entwicklung unserer Vorfahren darstellt. „Felskunst ist eine der ersten Indikatoren eines abstrakten Geistes – ein Anzeichen für das Entstehen des menschlichen Geistes, wie wir ihn kennen“, erklärt Thomas Sutikna von der University of Wollongong in Australien.

Punktreihen auf der schwäbischen Alb

Was aber gerade die abstrakteren, frühen Symbole und Zeichen bedeuten, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Einige Forscher sehen sie als Symbole für Sex, bestimmte Emotionen oder soziale Beziehungen. Andere vermuten, dass sie im Rahmen von Ritualen in Trance gemalt wurden. Ein Beispiel für eher rätselhafte Symbole sind die Malereien in der «Hohle Fels»- Höhle auf der Schwäbischen Alb. Hier hinterliessen unsere Vorfahren von rund 15’000 Jahren abstrakte Bilder auf mehreren grösseren Kalksteinbrocken. Sie bestehen aus Doppelreihen von rötlichen Punkten, die sich parallel zueinander über den Stein ziehen. Nach Einschätzung von Archäologen der Universität Tübingen handelt sich bei diesen Felsbildern um die ältesten Malereien Mitteleuropas. Was sie jedoch bedeuten, ist völlig unbekannt. Klar scheint nur: Sie müssen für ihre Schöpfer von Bedeutung gewesen sein, denn sonst würden diese doppelten Punktreihen nicht gleich mehrfach auftauchen.

«Klingende» Ritualorte

Ein Indiz dafür, dass zumindest einige Höhlen als Ritualort dienten, hat Iegor Reznikoff von der Universität Paris vor Kurzem entdeckt. Als er die akustischen Eigenschaften einiger mit Felskunst verzierter Höhlen untersucht, bemerkte er etwas Auffälliges: An den Stellen der Höhlen, an denen besonders viele Resonanzen und Echos auftraten, waren meist auch die meisten Felsbilder zu finden. Lag ein Ort mit spezieller Akustik in einem sehr engen Gang, dann hatten die Eiszeitmenschen genau dort oft farbige Markierungen oder Symbole hinterlassen – ein bloßer Zufall? Nach Ansicht von Reznikoff nicht. Er vermutet, dass die besondere Akustik von Höhlen eine wichtige Rolle in den Ritualen unserer Vorfahren spielte. Der verzögerte Hall, das geisterhafte Zischeln oder Donnern, zu dem Alltagsgeräusche verstärkt wurden, könnten als Kommunikation der Geister gedeutet worden sein. Die Höhle wurde damit für sie zu einem Ort des Übernatürlichen.

Sternenkarte an der Höhlenwand

Eine eher praktische Bedeutung schreibt dagegen der Archäoastronom Michael Rappenglück einigen Höhlenmalereien zu. Er sieht beispielsweise in einigen Punktmustern der Höhle von Lascaux eine Art steinzeitlicher Himmelskarte. Ein Beispiel dafür findet sich in der Halle der Stiere: Über dem Widerrist eines mächtigen Auerochsen ist eine seltsame Figur aus sechs dunklen Tupfen zu sehen .Für Rappenglück ist diese Kombination von Punkten und Stierbild kein Zufall, sondern eine ziemlich exakte Wiedergabe einer auffallenden Konstellation am Nachthimmel: dem Sternbild Stier mit dem über seinem Rücken sichtbaren Siebengestirn, den Plejaden. Dieser offene Sternhaufen umfasst sechs mit bloßem Auge sichtbare Sterne – und er spielte schon in den frühesten Kulturen eine wichtige Rolle. Nach Ansicht des Archäoastronomen ist es daher plausibel, dass die Plejaden auch für die vorzeitlichen Höhlenmaler schon wichtige Jahreszeiten-Anzeiger waren.

Aber auch das ist, wie so vieles im Kontext der Höhlenmalereien, eine Hypothese.

Quelle: scinexx, Nadja Podbregar